“DiGA müssen sinnvoll eingesetzt werden!”
Im Vorfeld unseres Newsletters zum Thema DiGA haben wir bei unseren Kundinnen und Kunden Fragen gesammelt, die wir mit Herrn Prof. Dr. Peter Neudeck besprochen haben. An dieser Stelle können Sie unser Gespräch nachlesen.
Christoph Hoenicke: Herr Neudeck, vielleicht stellen Sie sich einmal kurz vor!
Peter Neudeck: Gerne! Erst einmal vielen Dank für die Einladung! Ich bin approbierter Psychotherapeut, Supervisor und leite zwei Praxen in Köln und Düsseldorf, die auch als Lehrpraxen fungieren. Seit vielen Jahren engagiere ich mich in der universitären Lehre und Forschung, unter anderem als Honorarprofessor an der TU Chemnitz, mit Schwerpunkten in Expositionstechniken und der Therapie chronisch depressiver Patienten.
Christoph Hoenicke: Und wie kommen Sie auf den Bereich digitale Gesundheitsanwendungen?
Peter Neudeck: (Lacht) Oh, das hätte ich ja fast vergessen. In meiner Zeit als Psychotherapeut hat mir immer etwas zwischen den Sitzungen gefehlt, mit denen ich meine Patienten auch außerhalb der Praxis begleiten konnte. Immer wieder Arbeitsblätter und Hausaufgaben waren mir zu starr. Über eine Kollegin aus meiner Praxis bin ich dann an das Gründungsteam von Elona Health geraten, das mit ihrer Idee und der Möglichkeit der Entwicklung einer DiGA zur Ergänzung der regulären Therapie komplett ins Schwarze getroffen hat. Deshalb habe ich die medizinisch-psychologische Leitung für die digitale Gesundheitsanwendung (folg. DiGA) elona therapy übernommen, für die ich noch immer verantwortlich bin.
Welche DiGA passt zu mir und meinen Patient*innen?
Christoph Hoenicke: Apropo DiGA. Es herrscht eine wirkliche Informationsflut, wenn es um digitale Gesundheitsanwendungen geht. Wie können Praxisinhaber:innen gezielt herausfinden, welche DiGA wirklich zu den individuellen Bedürfnissen ihrer Patient:innen passt? Gibt es bestimmte Kriterien oder Anhaltspunkte, die bei der Auswahl helfen?
Peter Neudeck: Moment, einen Schritt nach dem anderen. Zunächst müssen wir voranstellen, was DiGA überhaupt sind, schließlich ist das Konzept noch nicht so alt. DiGA sind sog. Apps auf Rezept, die alle Psychotherapeuten verschreiben dürfen. Sie werden vom BfArM (Anm.: Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte) umfangreich auf Datenschutz, Datensicherheit, Nutzerfreundlichkeit und auch Wirksamkeit und Evidenz getestet und werden bei positiver Begutachtung in das sog. “DiGA-Verzeichnis” aufgenommen. Ist die DiGA in diesem Verzeichnis, erstatten alle gesetzlichen Krankenversicherungen und auch die meisten Privaten eine DiGA auf Rezept.
Christoph Hoenicke: Sie haben natürlich Recht, ich bin ein bisschen schnell vorgeprescht. Zurück zur Auswahl der DiGA: Was müssen Behandler beachten?
Peter Neudeck: Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Zum einen sind digitale Gesundheitsanwendung erst seit ein paar Jahren Teil der psychotherapeutischen Behandlung. Deshalb sollte man sich erst mal grundlegend mit dem Konzept der DiGA vertraut machen. Auf der anderen Seite steigt die Anzahl an digitalen Gesundheitsanwendungen kontinuierlich mit immer neuen Innovationen. Ich meine, für psychische Erkrankungen sind es um die 20 DiGA, die aktuell auf Rezept verschrieben werden können – sowohl für spezielle Indikationen, als auch Ausprägungsformen. Drei Kriterien sind dabei meiner Meinung nach besonders wichtig: Erstens, die Indikation. Je nach Indikationsbereich, in dem sich die Patienten befinden, gibt es verschiedene DiGA. Für jede Indikation gibt es eine separate Eintragung im DiGA Verzeichnis. Zweitens, der Behandlungskontext. Wenn Patienten zur Überbrückung der Wartezeit unterstützt werden sollen, eignet sich eine Lösung ohne Therapeut:innen-Unterstützung. Wenn jedoch Patienten zwischen den Sitzungen unterstützt werden sollen, bietet sich eine sogenannte Blended-Care Lösung, oder auch “verzahnte Lösung” an. So wie beispielsweise elona therapy. Diese ergänzt dann die Face-to-Face Therapie. Drittens zählt der eigene Eindruck. Ich würde Psychotherapeuten raten, die DiGA erst einmal selbst zu testen und dann zu entscheiden, ob es den eigenen Patienten helfen kann.
Grundsätzlich bietet das DiGA-Verzeichnis des Bundesministeriums für Arzneimittel und Medizinprodukte einen guten Überblick der Anwendungsgebiete. Mein Tipp ist, nach und nach ein Gefühl für DiGA zu bekommen. Mit einer anzufangen und sich Zeit zu lassen mit dieser Erfahrung.
Wann binde ich die DiGA in die Therapie ein?
Christoph Hoenicke: Das stimmt! Viele der Psychotherapeuten, mit denen ich Kontakt habe, haben die Frage geäußert, wann der richtige Zeitpunkt ist eine DiGA in den Therapieprozess einzubinden. Sollte sie bereits zu Beginn der Behandlung genutzt werden oder erst später? Wie kann man sicherstellen, dass die DiGA den größten Nutzen bringt und nicht überfordert?
Peter Neudeck: Das ist auch eine Frage, die uns immer wieder gestellt wird. Zurecht. Der optimale Zeitpunkt für den Einsatz einer DiGA hängt stark von der individuellen Behandlung ab. Grundsätzlich kann eine DiGA in unterschiedlichen Therapiephasen sinnvoll sein. Direkt zum Erstgespräch zur Überbrückung der Wartezeit. Zu Beginn der Therapie, um insbesondere die Psychoedukation auszulagern und eine erste Struktur zu schaffen. In der Mitte der Therapie, um beispielsweise erlernte Strategien zu vertiefen. Oder auch zum Ende, um die Selbstmanagementfähigkeiten zu vertiefen und so als Rückfallprophylaxe zu verwenden.
Therapeuten beispielsweise, die mit elona therapy arbeiten, verwenden elona therapy in verschiedenen Phasen der Therapie. Je nachdem, was die Patient:innen gerade benötigen. Von der Psychoedukation bis hin zur Prophylaxe über den Aufbau von Strukturen und Gewohnheiten. Um eine Überforderung zu verhindern, hat es mir sehr geholfen Woche für Woche zu beobachten, ob meine Patient:innen Gewohnheiten entwickeln. Das hat bei vielen dazu geführt, dass das Selbstmanagement erhöht wurde und so auch andere Aufgaben in ihrem Alltag besser erfüllt werden konnten.
Wie gehe ich mit technischen Fragen/Problemen um?
Christoph Hoenicke: Einige Therapeuten haben Bedenken, ob sie ausreichend geschult sind, um die DiGA und deren Anwendung zu erklären. Gerade auf technischer Ebene. Wie können Praxen sicherstellen, dass sie bei der Anwendung der DiGA die nötige Unterstützung haben, falls Patienten technische Fragen oder Probleme haben?
Peter Neudeck: Das ist ein sehr verständliches Anliegen. Alles ist neu und muss sich erst einmal einruckeln. Wichtig ist, dass sich Psychotherapeuten bewusst machen, dass sie keine technischen Experten sein sollen und müssen. Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass man eine einfache Erklärung nutzt. Um “Digitale Gesundheitsanwendungen” zu erklären, kann man beispielsweise “App auf Rezept” verwenden. Diese Formulierungen verbessern das Verständnis und die Bereitschaft, sich auf die DiGA einzulassen. Zudem sollten Therapeuten zu Beginn klar kommunizieren, dass für technische Probleme die Hersteller verantwortlich sind. Ein Kontakt zu dem technischen Support findet sich auf der Seite eines jeden Herstellers. Die Hersteller müssen nämlich qua Gesetz einen Support anbieten. In der Praxis kann das Gefühl der Unsicherheit entstehen. Solche Situationen finden aber nach meiner Erfahrung nicht im therapeutischen Alltag statt, da klar auf die Hersteller verwiesen werden kann.
Was muss ich beim Verschreiben beachten?
Christoph Hoenicke: Eine weitere Frage, die oft aufkommt, betrifft das Verschreiben von DiGA. Welche rechtlichen oder praktischen Schritte müssen Praxen beachten, wenn sie eine DiGA verschreiben möchten? Gibt es bestimmte Prozesse oder Dokumentationen, die hierbei wichtig sind?
Peter Neudeck: Die Verschreibung erfolgt eigentlich immer in drei Schritten. Erstens die Verschreibung mithilfe des Muster 16 Rezeptes, entweder über das PVS wie in medatixx, psyx oder per Hand. Immer mit der dazugehörigen PZN-Nummer, welche auf den Websites der DiGA Hersteller, dem DiGA-Verzeichnis oder auch direkt im PVS zu finden sind. Dieses Rezept müssen Patienten dann bei ihrer Krankenkasse einreichen, entweder per Post oder per Upload, häufig über die Krankenkassen-Apps. Wichtig hier: Alle gesetzlichen Krankenversicherungen müssen bei entsprechender Diagnose der Übernahme zustimmen. Auch die meisten privaten Krankenversicherungen übernehmen mittlerweile die Kosten, je nach vereinbarten Konditionen pro Patient. Im dritten Schritt erhalten Patienten dann den Freischaltcode von ihrer Krankenkasse und tragen diese in ihre DiGA ein. Die Krankenkassen sind gesetzlich verpflichtet, diesen Code innerhalb von zwei Werktagen auszustellen. Der Prozess ist leider noch nicht so digital wie die Anwendungen selbst.
Wie kann die DiGA erfolgreich in den Alltag integriert werden?
Christoph Hoenicke: Das hoffen wir auch. Zu guter Letzt: Wie können Psychotherapeuten ihre Patienten optimal dabei unterstützen, DiGA selbstständig und erfolgreich in ihren Alltag zu integrieren? Gibt es bestimmte Schulungs- oder Kommunikationsansätze, die sich in der Praxis bewährt haben?
Peter Neudeck: Ja, ein paar Punkte sind schon sehr wichtig. Während der Verwendung einer DIGA hilft es enorm, regelmäßige Reflexionen in den Sitzungen zu integrieren, den Fortschritt gemeinsam mit den Patienten zu besprechen und auf Fragen einzugehen. Das funktioniert bei Selbsthilfelösungen nicht immer so gut, da die Patienten auch über längere Zeit nicht gesehen werden. Bei DiGA, die wie Elona Therapy in die Therapie integriert werden, ist dies einfacher. Wenn zu Anfang der DiGA Nutzung die Patienten mit den Übungen überfordert sind, kann z.B. die Anzahl reduziert werden. So sinkt der Druck und eine Gewohnheit kann festigen, ohne zu überfordern. Das sollte jedoch von der Therapeutin beobachtet und aktiv angesprochen werden. Zudem ist das Setzen einer klaren Erwartung relevant. Wir empfehlen den Patienten direkt zu Beginn klarzumachen, dass die DiGA elementarer Bestandteil der Therapie ist und regelmäßig genutzt werden muss. . In unseren Studien haben wir gesehen, dass mehr nicht immer besser ist, eine regelmäßige und intensive Nutzung dennoch häufig zu sehr guten Ergebnissen führt. Als letzten Tipp habe ich die Verknüpfung mit Alltagsroutinen als sehr hilfreich in der Praxis wahrgenommen. Beispielsweise das Definieren von festen Zeiten, um ein klares Commitment zu schaffen.
Christoph Hoenicke: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Dr. Neudeck! Ich bin sicher, dass diese Einblicke vielen Praxen helfen werden, DiGA sinnvoll in ihren Therapiealltag zu integrieren.
Prof. Dr. Peter Neudeck: Sehr gerne, es freut mich, wenn ich helfen konnte!